lunedì, Novembre 25, 2024

Concordia-Vorstand Inama SJ: „Immer noch kommen in Bulgarien zu viele unter die Räder.“

Don Paolo Zambaldi
Don Paolo Zambaldi
Cappellano nelle parrocchie di Visitazione, Regina Pacis, Tre Santi e Sacra Famiglia (Bolzano).

05.01.2018 (KAP-ID) Bulgarien hat mit 1. Jänner die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Der Vorarlberger Jesuit Markus Inama hat sich viele Jahre lang in Bulgarien im Rahmen der “Concordia”-Sozialprojekte für Kinder und Jugendliche eingesetzt, die auf der Straße und in Armenvierteln lebten. Seit 2009 ist er Mitglied des “Concordia”-Vorstands und obwohl seit 2012 als Rektor des Innsbrucker Jesuitenkollegs wieder hauptsächlich in Österreich nach wie vor ein ausgewiesener Bulgarien-Experte.

 

Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) hat er einen Einblick über die bedrückende aktuelle Lage im Land gegeben. Der Kathpress-Infodienst dokumentiert das Interview:
KNA: P. Markus, Bulgarien hat seit gut einem Jahr einen neuen Präsidenten, seit April ein neues Parlament und übernimmt jetzt die EU-Ratspräsidentschaft. Wo steht das Land?
Markus Inama: Bulgarien steckt leider auch mehr als 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch immer in einem Transformationsprozess – und kommt nicht wirklich voran. Ich bin gespannt, ob der Vorsitz im Rat der Europäischen Union Fortschritte bringt. Bulgarien ist seit 2007 EU-Mitglied und wartet bisher immer noch auf den erhofften Sprung nach vorn.
KNA: Wo und wie macht sich das bemerkbar?
Inama: Zuerst mal in den Köpfen. Demokratisch handeln, auf eigenen Beinen stehen, sein Schicksal selbstverantwortlich in die Hand nehmen und das auch noch in Solidarität mit anderen – das ist noch längst nicht selbstverständlich. Bulgarien könnte ein reiches Land sein, aber im Verteilungskampf ist die Korruption ein Riesenproblem. Wenige bereichern sich, viele fallen hinten runter.
KNA: Was heißt das für die soziale Lage im Land?
Inama: Jeder muss selbst sehen, wie er irgendwie über die Runden kommt. Da ist kaum ein Blick frei auf die am Rand, die da nicht mithalten können. Immer noch kommen zu viele Menschen unter die Räder. Zum Teil sogar ganze Gruppen – etwa die Roma -, die ums nackte Überleben kämpfen und die ohne fremde Hilfe gar keine Chance hätten.
KNA: Sie haben das Schicksal der Roma angesprochen, deren Anteil an der Bevölkerung stark zunimmt. Wo liegen deren Probleme?
Inama: Schon immer gab es große Vorbehalte gegen diese Gruppe. Und so ist es kein Wunder, dass sie nach dem Ende des Kommunismus die ersten waren, die ihre Jobs verloren haben. Viele ziehen bis heute in die großen Städte, um dort zumindest ein paar Gelegenheitsjobs zu finden ab und zu. Experten, die die Situation in Indien besser kennen, sagen, die Armenviertel der Roma in Sofia, die sogenannten Machalas, sind kaum besser als Slums in Delhi oder Mumbai.
KNA: Und was macht die Politik?
Inama: Die EU hat hier schon eine Menge angestoßen und auch etwas bewirkt, aber das reicht noch lange nicht. Ein Riesenproblem ist, dass die Behörden und Politiker das Thema totschweigen. Jeder Politiker, der sich auf die Seite der Roma stellen würde, würde sofort etliche Prozentpunkte verlieren. So tief sitzen die Vorbehalte in der Bevölkerung, was oft schon skurrile Züge annimmt.
KNA: Inwiefern?
Inama: Etwa wenn immer wieder erzählt wird, die Roma bekämen so viele Sozialleistungen, dass für arme Nicht-Roma nichts mehr übrig bleibe – was definitiv nicht stimmt. Aber man hat halt gern einen Sündenbock. Das setzt sich übrigens auch bei den Roma selbst fort, wo viele auf die Flüchtlinge schimpfen, die angeblich zu viel Geld bekämen, gute Wohnungen und eine bessere Gesundheitsversorgung als sie selbst. Dabei gibt es kaum Flüchtlinge im Land – und die wenigen, die da sind, wollen so schnell wie möglich weg aus Bulgarien.

KNA: Wie helfen Sie diesen Menschen mit Ihrer Stiftung?
Inama: Wir kümmern uns mit unserer Jugend- und Sozialarbeit vor allem um die Kinder, aber natürlich auch um deren Familien. Unsere Schwerpunkte sind Bildung und Ausbildung, denn nur dadurch haben Kinder und Jugendliche die Chance auf eine bessere Zukunft. Wir sorgen dafür, dass die Kinder wirklich zur Schule gehen können und nicht auf ihre Geschwister aufpassen, arbeiten oder gar betteln und klauen gehen müssen. “Nebenbei” sozusagen kümmern wir uns aber auch – da wo es nötig ist – um die medizinische Versorgung der ganzen Familie, um Hygiene und Aufklärung und auch um Kleidung und Essen, wenn es daran fehlt.
KNA: Was können Sie damit erreichen?
Inama: Oft eine ganze Menge – umso mehr, je früher wir damit anfangen können. Wenn die Roma-Kinder zum Beispiel gerne in die Schule gehen und dort auch Erfolge erzielen, halten sie meist auch durch und machen ihre Ausbildung zu Ende – auch wenn sie mit 15 oder 16 Jahren sehen, dass etliche ihrer Altersgenossen schon heiraten und Kinder bekommen. Aber manchmal stoßen wir da auch an Grenzen.
KNA: Zum Beispiel?
Inama: Wenn die Familien auseinanderbrechen, wenn es Gewalt gibt oder Missbrauch, wenn Alkoholprobleme überhandnehmen oder einer der Eltern im Gefängnis sitzt, aber auch bei schweren Krankheiten oder Behinderungen. Dann geht gar nichts mehr im bulgarischen Sozialsystem, und wir können nur versuchen, die Kinder bei uns aufzunehmen oder in Pflegefamilien oder familienähnliche Einrichtungen zu vermitteln, damit sie nicht auch völlig aus der Bahn geworfen werden.
KNA: Was müsste sich politisch tun? Vielleicht gibt es ja eine Chance, wenn Bulgarien jetzt stärker im Rampenlicht steht?
Inama: Mein Traum wäre, dass die Verantwortlichen endlich einsehen, dass die Probleme immer schlimmer und mögliche Lösungen noch teurer werden, wenn man weiter die Augen verschließt. Während in Rumänien zum Beispiel versucht wird, Roma eine legale Existenz zu ermöglichen, indem ihnen die Grundstücke, die sie bewohnen, zu halbwegs erschwinglichen Preisen zum Kauf angeboten werden, sehe ich in Bulgarien wenig Ansätze, wie diese Frage gelöst werden könnte, außer, dass Roma-Communities, die schon zig Jahre in einem bestimmten Viertel leben, mit dem Abriss ihrer Hütten gedroht wird. Es gibt aber auch positive Signale – etwa, dass die Stadt Sofia soziale Dienstleistungen an Nichtregierungsorganisationen vergibt. Das wäre vor einigen Jahren noch nicht möglich gewesen.
Dieses Interview ist mit freundlicher Genehmigung übernommen von der Katholischen Presseagentur Kathpress, www.kathpress.at

Veranstaltungshinweis: Am 16. Jänner 2018 wird P. Markus Inama SJ in Rahmen von “Abendreihe Jesuitica” sein neuen Buch “Der Hoffnung ein Zuhause geben: Die vergessenen Kinder von Sofia.” in Wien vorstellen. Alte Burse, Sonnenfelsgasse 19, 1010 Wien

https://jesuiten.at/ 

Supporta Don Paolo Zambaldi con una donazione con PayPal.

Ultimi post

LASCIA UN COMMENTO

Per favore inserisci il tuo commento!
Per favore inserisci il tuo nome qui

Dalla stessa categoria